Balaban und Lirka

Gegen das Vergessen



Die Hinrichtung von
Wladymir Lirka und Trofin Balaban


Am Abend des 19. April 1944 wurden in Wendlingen am Neckar zwei ukrainische Zwangsarbeiter am Waldrand bei der Autobahn erhängt. Der Befehl hierzu erfolgte auf Erlass des Reichsführers SS Heinrich Himmler wegen angeblichen Hühnerdiebstahls. Das „Urteil“ – es hatte keine Gerichtsverhandlung stattgefunden – wurde verlesen und sofort vollstreckt.


Die beiden Männer aus der Nähe von Lemberg (Lwiw) in der heutigen Ukraine waren der damals 18-jährige Wladymir Lirka, er war Schreiner bei der Firma Behr, und der 21-jährige Trofin Balaban, er war landwirtschaftlicher Arbeiter bei der Firma Röhm.

Der Gedenkstein am Ort der Hinrichtung

Das Vergehen und die Gefangennahme


Nach dem Luftangriff auf Wendlingen vom 20. Februar 1944 waren wiederholt Hühner aus ihren Ställen verschwunden. Bald verdächtigte man die beiden jungen Ukrainer, denunziert hatte sie eine französische Zwangsarbeiterin und Verwalterin der Sammelunterkunft, in der Wladymir Lirka wohnte. Nach der Festnahme und Unterbringung im Gerichtsgefängnis Nürtingen erfolgte die Übergabe an die Gestapo in Stuttgart.


Am 13. April 1944 wurde in einem Erlass des Reichsführers SS Heinrich Himmler „die Erhängung der beiden Ausländer befohlen“ und angeordnet, in der Nähe beschäftigte Zwangsarbeiter an den Exekutierten vorbeizuführen: Man wollte ein Exempel statuieren und eine abschreckende Wirkung erzielen, indem man in einer Zeit von Hunger und Not auch kleine Vergehen aufs Schärfste bestrafte.

Der Exekutionsbefehl  (Quelle: Landratsamt Esslingen - Kreisarchiv, D1 Bü. 2398)


Die Gräber von
Wladymir Lirka und Trofin Balaban


Die sterblichen Überreste begrub man zunächst außerhalb des Friedhofs, verlegte sie 1946 in den Bereich innerhalb der Wendlinger Friedhofsmauern und schließlich 1983 an den heutigen Standort. Die Korrektur der zunächst noch fehlerhaften Grabinschrift erfolgte erst 2015 in Zusammenhang mit einer am Robert-Bosch-Gymnasium erarbeiteten Ausstellung zum Thema „Zwangsarbeiter in Wendlingen“.

Die Grabstelle auf dem Friedhof Wendlingen

Wurden die Täter zur Verantwortung gezogen?


Im Spruchkammerverfahren gegen Georg Steinemann berichtet am 13.6.1947 der damals in Karlsruhe lebende Ukrainer Teodor Skocylack (geb. 22.7.1922 in Rochizno (Lemberg), seit 1941 in Deutschland, damals in Wendlingen Sofienstraße 6) über die Exekution:


„Unter den unmittelbar bei der Exekution befindlichen waren: Steinemann in Uniform mit Fahrrad; Krauss in Zivil ohne Waffen; Viehhändler Grünenwald in Zivil als Zuschauer; 2 SS-Männer als Exekutionskommando; ein Gestapobeamter aus Nürtingen [Reg. Oberinspektor Hoffmann]; 1 deutscher Zivilarzt (lang, mager); und 1 SS-Untersturmführer. Lagerführer Krauss hat die ausländischen Arbeiter an den gehängten Kameraden vorbeigeführt. Grünenwald gab den Anlass bei der Hinrichtung, da bei ihm mein Kamerad eine Henne gestohlen hatte. Er meldete den Diebstahl an Steinemann weiter, und von dort aus kam die Sache an die GeStaPo und führte schließlich zu der Aktion. Als ukrainischer Zivilist war ich bei der Firma Behr während des Krieges dienstverpflichtet, und wurde von dem damaligen Lagerführer Krauss [Albert Krauss, Werkmeister bei Behr] dazu bestimmt, der Exekution meiner beiden Landsleute Wladimir Lirka aus Sambor (Galizien) und Johann --- aus Galizien an der Lauereiche beizuwohnen. Ich wurde gezwungen von einem Nürtinger GeStaPo-Beamten unter vorgehaltener Pistole, meinen Landsleuten sämtliche Bekleidungsstücke auszuziehen, und helfen, sie auf den Hinrichtungsstuhl zu stellen. Ein SS-Untersturmführer (3 silberne Sterne am Kragen) hat dabei die Hinrichtungsanordnungen erteilt, und ein Totenkopfmann [SS-Mann] hat den beiden Ukrainern den Strick um den Hals gelegt, und den Stuhl umgestürzt. Nachdem ein Zivilarzt den Tod festgestellt hatte, musste ich den beiden Toten den Strick abnehmen, und sie in eine Kiste legen. Ich und mein Kamerad Stefan Guchauscher? [wohl Lirkas Onkel Kucharyscheyn] mussten zusammen mit 2 Polen die Leichname auf einen Wagen laden, der von einem Bulldog gezogen wurde. Steinemann befahl nun, die Leichen in ein vorher ausgehobenes Loch außerhalb dem Friedhof zu legen, und sofort an meine Arbeitsstätte bei der Firma Behr zu gehen.“
(Quelle: Staatsarchiv Ludwigsburg)

Einige der Beteiligten wurden im Zuge der Entnazifizierung nach dem Spruchkammerverfahren 1947 für kurze Zeit im Arbeitslager interniert und mit teilweisem Vermögensentzug bestraft. Andere, wie der damalige Wendlinger Gendarmeriemeister und der Werkschutzleiter bei Behr, wurden als Mitläufer eingestuft und bald freigelassen.

Die Gerüchte über den „Mord an zwei Fremdarbeitern“ verstummten auch nach Jahren nicht und so erstattete 1958 ein in Wendlingen wohnender Zimmermann Anzeige. Der Fall wurde neu aufgerollt, aber aufgrund teils widersprüchlicher Aussagen keiner der NS-Funktionäre jemals wegen des Falles verurteilt.

„Vernichtung durch Arbeit“ -  Zwangsarbeit im 2. Weltkrieg


Zwischen 1939 und 1945 leisteten im Deutschen Reich über 12 Millionen ausländischer Männer, Frauen und Kinder Zwangsarbeit. In Wendlingen am Neckar wurden seit November 1939 bis zum Kriegsende sicher mehr als 300, nach anderen Aussagen bis zu 800 Menschen, in Industrie, Straßenbau, Landwirtschaft und Handwerk eingesetzt.

Exakte Zahlen sind aufgrund unvollständiger Dokumentation und teilweise vernichteter Unterlagen nicht ermittelbar. Meist handelte es sich um Kriegsgefangene, überwiegend aus Frankreich, Polen und der Sowjetunion (und damit auch der heutigen Ukraine), aber auch Zivilisten wurden aus den besetzten Gebieten Europas zwangsrekrutiert und verschleppt.

Ihre Unterbringung erfolgte teils in eigens errichteten Baracken wie im Wendlinger Hechtweg und in Unterensingen, oder in Sammellagern, wie im Gasthaus Ochsen. Da die meisten Wendlinger Männer im Krieg waren, wurden Arbeitskräfte gebraucht. Die harte Arbeit und schlechte Versorgung trugen zudem zur „Schwächung des Feindes“ bei.





Der Weg zum Gedenkstein


Folgen Sie vom Parkplatz "Lehmgrüble", oberhalb der Sportanlagen und des Freibades, der auf der Karte markierten Strecke, die auch der letzte Weg der beiden Opfer war. Man erreicht den Gedenkstein zu Fuß in etwa 15 Minuten.

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